Bad Sobernheim. Deutschlandweit gibt es noch 17.500 Apotheken, das sind 3.000 weniger als vor zehn Jahren. 2023 schlossen 497, im ersten Quartal 2024 sperrten 142 die Ladentür zu. Das Apothekenhonorar beträgt seit 20 Jahren acht Euro und ein paar Cent pro rezeptpflichtigem Arzneimittel; – bei Präparaten zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verringert ein Abschlag von derzeit 2.- Euro das Apothekenhonorar deutlich, während die Sachkosten wie Energie oder die Tariflöhne ständig und kontinuierlich gestiegen und die Betriebsergebnisse im steilen Sinkflug sind. Das gilt auch für die ganz stark frequentiert Kur-Apotheke am Marktplatz 2 in der Felkestadt. „Umsatz ist nicht gleich Gewinn“, denn „Hochpreiser“ (Medikamente die über 1.200 Euro kosten) sind mit 3 Prozent quasi gedeckelt, rechnete Apothekerin Alexandra Strobl-Hagen vor. Ein Dilemma!
In diesem Tagen sollte eigentlich ein 49-Seiten starker Referentenentwurf zur Apothekenreform über das Honorar und die Apothekerstruktur, über einen „radikalen Systemwechsel“ des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) „durchgewunken“ werden, wo nach Meinung der felkestädtischen Apothekerin und der ganzen Zunft die Apotheken „überflüssig, nutzlos und wertlos sind. Abgesehen davon haben wir wie alle Sparten im Gesundheitswesen größte finanzielle Nöte und Probleme“, sagte sie.

2002 machte sich die zweifache Mutter Alexandra Strobl-Hagen mit der Stephanus Apotheke in der Saarlandstraße in Bingen selbstständig, 2011 kam die Markplatzapotheke von Dr. Clauß als neu firmierte Kur-Apotheke in der Felkestadt hinzu und mittlerweile betreibt sie mit der Herz-Apotheke im einstigen Gensinger Klinitel eine dritte Apotheke. Vor Wochenfrist war Landrätin Bettina Dickes da, jetzt bat die sympathische Chefin von 40 angestellten MitarbeiterInnen in drei Berufssparten die wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Julia Klöckner (CDU), um Hilfe und Unterstützung, Joe Weingarten (SPD) kommt noch. Parteiübergreifend brauche man Hilfe, denn „die Existenz der Apotheken steht auf dem Spiel“, wetterte sie. Die jüngste Tariferhöhung „unserer fleißigen Mitarbeiter, die auf dem Zahnfleisch gehen“, schlägt im Monat mit 6.000 Euro zu Buche. Informationen und eine Akzeptanz für eine weitere Reform fehlten in der Bevölkerung in Gänze, und „bei den Leuten, die darüber abstimmen sollen, ist überhaupt keine Vorstellung da, über was sie abstimmen und wie der Stand der Dinge an der Basis und vor Ort ist“, echauffierte sie sich. Ganz starker Tobak. Denn: Wenn die Bevölkerung über die Verwerfungen und skandalösen, existenzbedrohlichen Umstände und unausgegorenen Reformpläne wüssten, würden sie auf die Barrikaden gehen, sagte sie sinngemäß und hinterfragte provakant Julia Klöckner, warum das Gesundheitswesen auf keinem Wahlplakat vorkomme oder eine Rolle spiele.
Die florierende Apotheke in Odernheim wurde mangels Nachfolge geschlossen; – man habe dafür den eigenen Notdienst ausgeweitet. Künftig sollen flächendeckend Apotheken „Light“ ohne Apotheker „via Facetime“ etabliert werden, ein absolutes No-Go und das funktioniere in keinster Weise, denn ärztliche Rezepturen herstellen oder eine Kundenberatung, gerade der immer älter werdenden Klientel, erfordere „Face-to-Face“ höchste Fachkompetenz .
Stand Mitta August haben über 106.000 Bürger eine Petition „keine Apotheken ohne Apotheker“ unterschrieben. Eine Stunde lang informierte die Inhaberin über ihren Ausbildungsbetrieb und das Alltagsgeschäft; – in der Felkestadt werden von zehn Mitarbeitern täglich hunderte Kunden und Patienten bedient, 90 Prozent davon sind verschreibungspflichtige Medikamente, über 80 Prozent beträgt der Wareneinsatz und drückt die Mittel zur Deckung der Mieten, Löhne oder gar Investitionen, Liquidität fehlt. Die ganze Bandbreite der Lieferengpässe und Misswirtschaft vom fehlenden Hustensaft für Kinder, Antibiotika, Paracetamol oder Ozempic für Diabetes-Patienten kam zur Sprache, was zur Aggression in der Bevölkerung, insbesondere im Multi-Kulti-Berlin führt, wo sich Apotheken und Ärzte mit Security schützen müssen.
„Der Staat muss regulierend eingreifen, die Medikamentenversorgung fällt unter die kritische Infrastruktur“, pflichtete Julia Klöckner bei, will sich kümmern und schaltete eine Videokonferenz.
Bei allen Chancen und der Notwendigkeit von IT, KI oder der Digitalisierung habe es das E-Rezept für Senioren nicht einfacher gemacht, weil sie nichts sehen, keinen Zettel in Händen halten oder teils Apps herunterladen müssen. In diesem Kontext hinterfragte die Apothekerin, ob wir wirklich über 90 unterschiedliche gesetzliche Krankenkassen brauchen, die 4,2 Prozent der Gesamtausgaben verursachen. Alexandra Strobl-Hagen forderte aus Wettbewerbsgründen ein Versandhandelsverbot, für das TV-werbewirksam Günter Jauch wirbt, und „gleiches Recht für alle“, denn: Für die Einlösung von E-Rezepten über das neue CardLink-Verfahren erhalten Kunden 10.- Euro Rabatt bei Shop-Apotheke und DocMorris. Das am 15.12.2020 in Kraft getretene Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz verbiete Apotheken generell die Gewährung von Vergünstigungen bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel an gesetzlich Versicherte. Und: In Deutschland verstößt dieser „Auslands“-Einkauf gegen den Datenschutz – die EU-Versender setzen sich wissentlich über geltendes Recht hinweg und sichern sich so dauerhaft Marktanteile. „Übrigens könnten wir solche Rabatte längst nicht mehr gewähren“, fügte Strobl-Hagen emotional-niedergedrückt hinzu.
Frage von Julia Klöckner: „Ist das ein Beruf mit Zukunft?“ Stand jetzt „Nein“. Aber: „Ich liebe meinen Job über alles und würde ihn jederzeit wieder wählen, aber nicht unter diesen Rahmenbedingungen, deren Ausuferungen gestoppt werden müssen“, antwortete die Apothekerin. Bernd Hey.
Zu den Fotos: Apothekerin Alexandra Strobl-Hagen (zweite von rechts) erklärte der wirtschaftpolitischen Sprecherin der CDU, Julia Klöckner, und Bernd Krziscik vom Stadtverband anhand von Zahlen die prekäre und existenzgefährdende Situation ihrer drei Apotheken vor der geplanten Kahlschlag-Apotheken Reform durch Karl Lauterbach. Unten anbei ein Faktenblatt der Apotheken. Fotos: Bernd Hey.